Medientheorie: Strategien der Selbststeuerung


Niegeschichten aus der Kybernetik
WS 2020/21

Online-Veranstaltung

Tool: bigbluebutton


Termine

Startdatum: 05.11.2020
Enddatum: 04.02.2021
Donnerstag: 11:00 - 13:00
14-tägig


Lehrende*r

Dr. Soenke Zehle


Veranstaltungsort



Maximale Anzahl Teilnehmer*innen

20


Anmeldeverfahren

Anmeldeinformationen sind zur Zeit nicht einsehbar.


Veranstaltungsart

Theorie Seminar – Vorlesung – 8 ECTS Theorie Seminar – Vorlesung – 4 ECTS

ECTS

8 ECTS
4 ECTS


Leistungskontrolle

Referat/Hausarbeit/Klausur, Vorlage und Präsentation von Arbeitsergebnissen


Beschreibung

Es war einmal eine Zeit, in der technischer Wandel als selbstverständlicher Bezugspunkt gesellschaftlicher Utopien galt. Das scheint nicht mehr der Fall zu sein. Wir haben Angst vor der Maschine und kommen weitgehend ohne Utopien aus. Doch dann kam die nächste Krise. Und wie immer bietet sich ein Blick ins Archiv an - war da nicht mal mehr Zukunft? Archiv und Antizipation, soweit die These, sind Geschwister im Geiste.

Fokus: Kollaborative Konzeptentwicklung rund um kybernetische Kulturen in und für Zeiten der Krise u.a. mit dem “Kollektiv sozialistische Kybernetik” - Alexander Karschnia (andcompany&Co.), Luise Meier (MRX Maschine), Kolja Möller (Universität Bremen / FB Rechtswissenschaft), Florian Schneider (kein.org / NTNU) und weitere, dazu Revathi Sharma Kollegala, Ned Rossiter, Christoph Schneider und weiteren Akteuren.

“Erst vor dem Hintergrund einer Ökologie digitaler Systeme wird auch eine Ethik der Digitalisierung denkbar, die Leitlinien für den Technikeinsatz vorgeben kann”, schreibt der Rat für digitale Ökologien. Wir werden versuchen, uns einer solcher  Ökologie durch die Auseinandersetzung mit Schlüsselepisoden technischen Wandels auseinanderzusetzen. In allen Beispielen geht es um Elemente einer alternativen Vorgeschichte aktueller Technologieentwicklungen, auch hier eine Gelegenheit, Technikgeschichte anders zu erzählen. Jedenfalls für alle, die Erzählungen gesellschaftsgestaltenden Einfluß zuschreiben. Wenn Zeit bleibt, soll es - über Beispiele hinaus - ums Ganze gehen, beschäftigen soll uns “der Mensch als technische Existenz” (Max Bense).

Die Veranstaltung wird als Online-Format stattfinden, dazu kommen nach Vereinbarung Treffen mit einzelnen Studierenden oder Arbeitsgruppen rund um die Erarbeitung medientheoretischer Hausarbeiten.

Kontext:

Die Kybernetik - als ganzheitliche Pseudo-Wissenschaft in Verruf geraten, gilt sie gemeinhin zumindest als untot  - lebt. Eben jenes Denken der Selbststeuerung, das seit den 1940er Jahren eine erstaunliche Vielfalt an Erscheinungsformen angenommen hat - von der Automatisierung der Raketenabwehr im II. Weltkrieg bis zum gegenkulturellen Geschäftsmodell von Enthusiasten erweiterter Wirklichkeiten war schon alles dabei. 

Aber wie immer, wenn eine Geschichte weitergeht, wird gelegentlich ein Blick zurückgeworfen. Um nachvollziehbar zu machen, wie wir am aktuellen Punkt in der Geschichte angekommen sind. Und um gemeinsam überlegen, wie sie weitergehen könnte. Während das Studienfach “Technische Kybernetik” sich im Autoland D inzwischen alternativen Mobilitätsstrategien widmet, forscht Rußland weiterhin zu alten und neuen Nuklearanlagen. Weitere Experimente einer “sozialistischen” (über den Begriff wird zu streiten sein, er wird hier zunächst verwendet im Sinne von “gut gemeint”) Kybernetik hingegen sind kaum gegenwärtig. Das ist schade, vielleicht sogar ein kollektiver Denkfehler. Denn ob Technologie oder Gesellschaft - Strategien der Selbststeuerung kommt eine Schlüsselrolle zu. Und auch wenn nun jene lang herbeigesehnte “Kultur des Scheiterns” entstehen sollte, kommen derlei historische Experimente nur selten als relevante Beispielerfahrungen eben solchen Scheiterns ins Spiel. Aber die Frage bleibt wichtig - wenn idealistische Vorhaben scheitern, tun sie das an ihren Ansprüchen, an den Rahmenbedingungen, an mangelndem Interesse oder Zuspruch entscheidender Akteure? Und was bleibt - als Bezugspunkt für historische Vergleiche, als Quelle der Inspiration, als so-sollten-wir-das-auf-keinen-Fall-machen-Gegenbeispiel?

Chile zum Beispiel taucht zwar reflexartig in Geschichten des sogenannten “Neoliberalismus” auf. Weit weniger oft erzählt wird die Geschichte des von Salvador Allende initiierten “Projekt Cybersyn”, das uns das ganzheitlich-gestaltungsphilosophische Engagement von Gui Bonsiepe (in Chile seit der Auflösung der HfG Ulm), Stafford Beer und Fernando Flores beschert hat. Mit noch immer hörbaren Resonanzen, in zeitgenössischen Theorien zu Management und Organisationsentwicklung, denen im Umgang mit Komplexität und Krise eine neue Aktualität zukommt (“Viable Systems Theory”), in der Medienkunst, die sich aktuell (wieder) mit maschinischen Intelligenzen auseinandersetzt, und im “Human-Centered Design”.

Wir werden die Ideen der Selbststeuerung auch auf die der Selbstorganisation erweitern.  Im damals noch Vereinigten Königreich war es der “Lucas-Plan” zur Zukunft eines von Insolvenze bedrohten Rüpstungsherstellers als Hersteller von “socially useful technology”, dessen Ko-Initiator Mike Cooley zu einem der weiteren Vordenker des “human centered design” wurde und später als Mitgründer der Fachzeitschrift “AI and Society” die aktuellen Auseinandersetzungen um Art und Umfang maschinischer Eigenständigkeit immer wieder mit der Frage nach selbstbestimmten Leben und Arbeiten verband.

Selbst das Militär, immer an vorderster Front, was die Gestaltung autonomer Maschinen angeht, wagt den Blick ins Archiv der Kybernetik. Es findet (z. B. in der Kybernetik-Geschichte des Militärhistorikers Thomas Rid) in “Moonlight Maze” (neben der Mutter aller Cyber-Attacken, Rid war an ihrer Aufklärung beteiligt) eine Blaupause für gegenseitige geopolitische Einmischungen, die aber gerade noch unterhalb der Schwelle zwischenstaatlicher Gewalt bleiben und daher bislang vor allem im Technikteil der Krisenberichterstattung auftauchen.

In der DDR ist es Georg Klaus, der in der Kybernetik ein radikal anderes Gesellschaftsmodell sieht. Es kam anders und Klaus nicht weit. Aber der Theatermacher Heiner Müller fand es trotzdem spannend.

Mehr wird noch nicht verraten.


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